Urlaubsanspruch bei Arbeitszeitänderung im SAP HCM
Um den Folgerungen der Rechtsprechung von europäischem Gerichtshof (EuGH) und Bundesarbeitsgericht (BAG) hinsichtlich des Urlaubsanspruchs bei Arbeitszeitänderung (besser) nachkommen zu können, hat SAP eine entsprechend konfigurierbare Funktionalität ausgeliefert. Diese soll hier vorgestellt werden.
Urteile zum Urlaubsanspruch bei Arbeitszeitänderung
Aus mehreren Urteilen des EuGH und nachgelagerter Entscheidungen des BAG, wie die unionsrechtlichen Vorgaben im deutschen Urlaubsrecht umzusetzen sind, geht hervor, dass Beschäftigten bei Änderung der Arbeitszeit bzw. des Beschäftigungsumfangs oder -modells kein Nachteil bzgl. des Urlaubsanspruchs und dessen Wertigkeit entstehen darf.
So hatte der EuGH im Urteil vom 11. November 2015 – C-219/14 (Rechtssache „Greenfield“) – u.a. klargestellt, dass die Jahresurlaubsansprüche im Hinblick auf den im Arbeitsvertrag vorgesehenen Arbeitsrhythmus erworben werden und dementsprechend zu berechnen sind. Er schlussfolgert daraus, dass die Zeiträume, in denen nach unterschiedlichen Arbeitsrhythmen gearbeitet wird, für die Berechnung des Urlaubsanspruchs voneinander zu unterscheiden und die Urlaubsansprüche für jeden Zeitraum getrennt zu berechnen sind. Im Ergebnis ordnet der EuGH damit dem Urlaubsanspruch die Wertigkeit zu, die sich aus dem jeweiligen Zeitraum vor und nach der Änderung der Arbeitszeit bzw. dem Beschäftigungsumfang ergibt. Rechnerisch müssen dazu vor und nach dem betreffenden Änderungsstichtag „fiktive“ Abschnitte gebildet werden. Dies wird im Umsetzungsteil des Artikels unten an einem konkreten Beispiel erläutert.
Zur Umsetzung von EuGH- und BAG-Rechtsprechung hatte das BMI Bund am 20.12.2019 das Rundschreiben „Urlaubsanspruch der Tarifbeschäftigten bei Änderung des Beschäftigungsumfangs/ Beschäftigungsmodells im Laufe des Urlaubsjahres“ veröffentlicht. Es enthält entsprechende Durchführungshinweise zu Folgerungen für Urlaubsdauer und Urlaubsentgelt bei Änderung des Beschäftigungsumfangs bzw. -modells.
Gegenüber dem bisher gültigen Rundschreiben ergeben sich Änderungen hinsichtlich der Berechnung des
Urlaubsentgelts. Zum Urlaubsentgelt für vor einer Verringerung der Arbeitszeit bzw. des Beschäftigungsumfangs erworbene Urlaubstage, die nicht vollständig vor der Änderung in Anspruch genommen werden, werden folgende Schlussfolgerungen gezogen:
- Damit Beschäftigte für ihre nicht verbrauchten Urlaubstage, die vor der Arbeitszeitänderung entstanden sind, mindestens das Äquivalent des Urlaubsentgelts erhalten, welches sie bei Urlaubsgewährung vor dem Änderungsstichtag erhalten hätten, kann eine Abstellung auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Urlaubsgewährung (nach Änderungsstichtag) erfolgen. Dadurch wird sichergestellt, dass zwischenzeitlich eingetretene Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur (wie bspw. allgemeine Tariferhöhungen, Höhergruppierungen und Stufensteigerungen) berücksichtigt werden.
- Das auf Basis der neuen Arbeitszeit ermittelte Urlaubsentgelt ist anschließend mittels eines modifizierten Zeitfaktors zu korrigieren. Dazu sind die ermittelten Teilbeträge für die sogenannten ständigen Bezüge (Monatsentgelte) und unständige Bezüge (variable Bezüge) per Dreisatz auf den höheren Beschäftigungsumfang vor der Arbeitszeitänderung hochzurechnen.
- Da es um die Bemessung des Urlaubsentgelts für Urlaubstage geht, welche vor dem Änderungsstichtag erworben wurden, ist stets ein für den einzelnen Urlaubstag maßgeblicher Tagesdurchschnitt zu ermitteln. Sofern ein Anspruch auf sogenannte unständige Bezüge besteht, ergibt sich der für den einzelnen Urlaubstag maßgebliche Tagesdurchschnitt folglich erst aus der Addition von zwei Teilbeträgen
Um in der SAP HCM Payroll Nachteile maschinell vermeiden zu können, die Beschäftigten für Urlaubstage entstehen können, welche vor einer Änderung von Arbeitszeit bzw. Beschäftigungsumfang erarbeitet wurden und erst danach in Anspruch genommen werden, hat SAP eine entsprechende Bewertungsfunktion(-alität) zur Verfügung gestellt. Die oben genannten Schlussfolgerungen finden sich in der Umsetzung wieder.
Umsetzung im SAP HCM: „Urlaub nach EuGH“
Die Auslieferung der Funktionalität ist sowohl für den öffentlichen Dienst als auch die Privatwirtschaft erfolgt. Folgende (Haupt-)Hinweise sind relevant:
Das ausgelieferte Customizing findet sich im Einführungsleitfaden unterhalb der Abwesenheitsbewertung der Abrechnung Deutschland. Die Erläuterung der einzelnen Elemente erfolgt weiter unten anhand eines Beispielfalls.
Die Funktion, welche die Bewertung (bzw. genauer Aufwertung) der Urlaubstage vornimmt, wurde für Privatwirtschaft (Schema DT00) und Öffentlichen Dienst (Schema DOTK) jeweils am Ende des Bruttoteils eingefügt:
Die Funktion besitzt ein sprechendes Protokoll, anhand dessen wir im Folgenden den Beispielfall durchgehen wollen.
Verarbeitung anhand eines Beispielfalls
Die Beispiel-Personalnummer weist folgende Werte auf:
sachverhalt | Ausprägung |
---|---|
Arbeitstage pro Woche in 2024 | stets 5 |
Arbeitsstunden pro Woche | zum 01.07.2024 |
Arbeitsstunden pro Woche / Beschäftigungsgrad bis AZ-Änderung | 40 Std / 100% |
Arbeitsstunden pro Woche / Beschäftigungsgrad ab AZ-Änderung | 20 Std / 50% |
Arbeitstage im Juli 2024 | 23 |
Urlaubsanspruch für 2024 | 30 Tage |
Urlaubsanspruch bis / ab Arbeitszeitänderung | 15 Tage / 15 Tage |
Inanspruchnahme Urlaub bis AZ-Änderung | 10 Tage |
Rest Urlaubsanspruch ab Arbeitszeitänderung aus Zeit davor | 5 Tage |
Fixes Monatsentgelt 07.2024: Lohnart 0010 „Tarifentgelt“ | 1.750,00 EUR |
Variables Monatsentgelt 07.2024: Lohnart 3150 „Urlaubsdurchschnitt“ für 15 Tage | 603,45 EUR |
Im Juli nimmt sie nun 15 Tage Urlaub, wovon 5 Tage noch vom Urlaubsanspruch vor Arbeitszeitänderung abgetragen werden. Das Kontingent des Anspruchs vor Arbeitszeitänderung wurde in der Gültigkeit auf den Tag vor Arbeitszeitänderung begrenzt (nicht aber in der Abtragbarkeit) und im Anspruch entsprechend reduziert:
Der Urlaubsanspruch ab Arbeitszeitänderung – also die 15 Urlaubstage für die zweite Hälfte aus 2024 – wurde in ein ab dem 01.07.2024 gültiges zweites Kontingent übertragen.
Rechnet man die Personalnummer nun für Juli 2024 ab, so erfolgt die Urlaubsbewertung bzw. -aufwertung im Bruttoteil, hier am Beispiel des Privatwirtschaftsschemas D000:
Die Erläuterung der Verarbeitung erfolgt anhand des Protokolls Schritt für Schritt. Es empfiehlt sich, die folgende Abbildung dazu in einem neuen Tab zu öffnen und sie neben dem folgenden Text geöffnet zu lassen.
[1] Relevante Abwesenheiten (aus Infotyp 2001)
Unter dem Punkt „Abwesenheiten“ werden die Abwesenheiten des aktuellen Monats protokolliert, welche zur Verarbeitung herangezogen werden, also die Urlaubs-Abwesenheiten.
[2] Relevante Abwesenheitskontingente (aus Infotyp 2006)
Unter dem Punkt „Kontingente“ werden die relevanten Urlaubskontingente protokolliert, welche zur Verarbeitung herangezogen werden. Also diejenigen, die im laufenden Monat abtragbar, jedoch seit Arbeitszeitänderung nicht mehr gültig sind. Denn genau diese enthalten den neu zu bewertenden Urlaubsanspruch. Das Kontingent für den Teilurlaubsanspruch ab Arbeitszeitänderung (01.07.2024) wird daher nicht protokolliert. Da es ein „aktueller Anspruch“ ist, ist das Kontingent für die Verarbeitung irrelevant.
[3] Tagesleiste D: zu bewertende / aufzuwertende Urlaubstage
Welche Urlaubstage der protokollierten Abwesenheiten nun genau neu zu bewerten sind, wird in der Tagesleiste D anhand der darüber aufgeführten Kennzeichen protokolliert. Die einzelnen Stellen der Tagesleiste stellen dabei den jeweiligen Tag des Monats dar, im Beispielfall also die Tage des Juli 2024 (01 bis 31).
Im Beispiel erhalten die ersten 5 Tage des Urlaubs vom 01. bis 19.07.2024 ein „A“, da sie vom protokollierten Abwesenheitskontingent für die Zeit vor Arbeitszeitänderung abgetragen werden. Diese 5 Tage – Montag 01.07. bis einschließlich Freitag 05.07. – sind also neu zu bewerten.
Die nächsten zwei Tage – also Samstag der 06.07. sowie Sonntag der 07.07. – werden mit Kennzeichen „_“ dargestellt. Dies soll zeigen, dass die relevante Abwesenheit diese Tage zwar abdeckt, aber hier keine Urlaubsabtragung stattfindet. Samstag und Sonntag sind für die Beispiel-Personalnummer also keine Arbeitstage.
Für die Tage Montag 08.07. bis einschließlich Freitag 12.07. wird ein „+“ angedruckt. Dieses soll zeigen, dass hier zwar Urlaub abgetragen wird, aber das ein aktuell gültiges Kontingent abgetragen wird und nicht von einem für einen Zeitraum vor Arbeitszeitänderung. Da dieser Urlaubsanspruch aktuell und damit nach Arbeitszeitänderung entsteht und auch aktuell in Anspruch genommen wird, passt die Wertigkeit der Urlaubstage, eine Neubewertung bzw. Aufwertung ist nicht erforderlich.
Da die Urlaubs-Abwesenheit erst am 19.07. endet, wiederholt sich die Protokollierung der letzten beide Absätze (Wochenende mit „_“, nächste Arbeitswoche mit „+“).
[4] Merkmal DUBLG: Zuweisung des Verarbeitungs-Modifikators
Welche im Customizing definierte Bewertung der Urlaubstage innerhalb der Funktion für die abzurechnende Person durchgeführt wird, kann im Merkmal DURLB gesteuert werden. Das Merkmal erlaubt die Zuordnung zu einem Modifikator oder Berechnungsmodell. Rechnen Sie sowohl Personalnummern im Schema des Öffentlichen Dienstes als auch der Privatwirtschaft ab, so können Sie die Differenzierung an dieser Stelle vornehmen.
Im Beispielfall wird der Modifikator PRV ermittelt.
[5] Lohnartengruppen und Verarbeitungsausprägungen
Dem ermittelten Modifikator werden im Customizing Lohnartengruppen zugeordnet. Eine Lohnartengruppe enthält quasi die Berechnungsdefinition für die Urlaubsbewertung. Sie enthält
- die Lohnarten, welche die Basis für Bewertung eines Urlaubstages bilden,
- die Ergebnislohnart, in welcher das Ergebnis der Urlaubsbewertung bzw. -aufwertung am Ende abgestellt werden soll,
- eine Kürzungsart, die verwendet wird um die gesammelte Bewertungsbasis auf einen Urlaubstag herunterzubrechen,
- eine Hochrechnungsart zur Hochrechnung der aktuellen Wertigkeit eines Urlaubstages auf den Wert vor Arbeitszeitänderung sowie
- einem Kennzeichen, welchen einen berechneten Urlaubsaufschlag zu Beginn der Abwesenheit berechnet und danach einfriert.
Im Standard werden die Kürzungsarten nach Arbeitstagen, nach Kalendertagen und für Aufschläge (unständige Bezüge / Durchschnitte) ausgeliefert. Kundeneigene Kürzungsarten können per BAdI implementiert werden.
Als Hochrechnungsarten werden Beschäftigungsgrad und Zähler-Nenner-Verhältnis ausgeliefert, zu beiden eine weitere in Verbindung mit einer Kürzung nach wöchentlichen Arbeitstagen. Auch die Hochrechnungsarten sind per BAdI kundenindividuell erweiterbar.
Im Beispielfall sind zwei Lohnartengruppen eingerichtet:
Lohnarten- gruppe | verwendung | Lohnarten- basis im beispiel | kürzungs- art | hoch- rechnungs- art |
---|---|---|---|---|
PWASTAEND | Ständige bzw. fixe Bezüge (Monatsentgelte) | 0010 – Tarifentgelt | nach Arbeitstagen | nach Beschäftigungsgrad |
9PWDS | Unständige bzw. variable Bezüge (Durchschnitte) | 3150 – Urlaubsdurchschnitt | für Durchschnitte (Anzahl der aufschlagsrelevanten Tage) | nach Beschäftigungsgrad |
Die beiden Lohnartengruppen sind im Protokoll normalerweise untereinander, zur besseren Vergleichbarkeit wurden sie im Screenshot nebeneinander kopiert.
[6] Kürzung: Berechnung des aktuellen Urlaubstageswertes
Die Kürzungsarten rechnen das jeweilige Entgelt auf einen Tageswert herunter / um. Die Vorgehensweise entspricht der ersten und dritten Schlussfolgerung der Durchführungshinweise.
[6-rechts] Ständige Bezüge / Fixe Bezüge (Monatsentgelte)
Für die ständigen Bezüge wird unsere einzige Basislohnart 0010 „Monatsentgelt“ herangezogen und durch die Anzahl der Arbeitstage des Juli (23) geteilt, so dass sich der Urlaubstageswert 76,09 Euro ergibt.
[6-links]Unständige Bezüge / variable Entgelte (Durchschnitte)
Für die unständigen Bezüge wird unsere einzige Basislohnart 3150 „Urlaubsdurchschnitt“ herangezogen. Da diese ja einen Urlaubsdurchschnitt bzw -aufschlag für die 15 Urlaubstage im Juli 2024 beinhaltet, ermittelt die Kürzungsart für Aufschläge entsprechend den Teiler 15. Es ergibt sich ein Tageswert von 40,23 Euro.
[7] Hochrechnung: Berechnung des Urlaubstageswertes im Entstehungsmonats
Für die Hochrechnung ist im Beispiel sowohl für die ständigen als auch die unständigen Bezüge jeweils die Hochrechnungsart „nach Beschäftigungsgrad“ hinterlegt.
Aus dem Verhältnis der Beschäftigungsgrade vor (100%) und ab Arbeitszeitwechsel (50%) wird der Hochrechnungsfaktor 2 ermittelt und auf den in Schritt 6 berechneten Tageswert angewandt. So ergibt sich der Wert eines Urlaubstages je Lohnartengruppe zum Zeitpunkt der Entstehung vor Arbeitszeitwechsel.
Die Berechnungsweise entspricht – zusammen mit dem folgenden Schritt 8 – der zweiten Schlussfolgerung der Durchführungshinweise.
[8] Berechnung der Ergebnislohnarten
Im letzten Schritt ist je Lohnartengruppe noch die Differenz der Wertigkeit eines Urlaubstages vor und ab Arbeitszeitänderung zu bilden. Die Differenz ist dann natürlich noch mit der Anzahl der relevanten neu zu bewertenden bzw. aufzuwertenden Urlaubstagen zu multiplizieren.
Der je Lohnartengruppe ermittelte Betrag wird mit der hinterlegten Ergebnislohnart an die Abrechnung zur Auszahlung übergeben.
Ergebnislohnarten im Entgeltnachweis
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